Während der Coronazeit hat die Nutzung von Fahrrad und E-Bike im Pendler-, Alltags- und Freizeitverkehr deutlich zugenommen. Velosuisse sieht gute Chancen für einen anhaltenden Trend – wenn die Veloverkehrsinfrastruktur und –gesetzgebung schritthält, wie es im Ausland zu beobachten ist.
Beflügelt durch das anhaltend schöne Wetter registrierten die Velosuisse-Mitglieder seit Ende Februar eine erhöhte Nachfrage nach Fahrzeugen und Ersatzteilen, die darauf hindeutete, dass Pendler vom öffentlichen Verkehr aufs Fahrrad umgestiegen sind, um sich vor einer Ansteckung mit dem Coronavirus zu schützen. Dann kam der Lockdown. Die Werkstätten wurden vom Bundesrat als systemrelevant erklärt und durften offenbleiben, um die Mobilität der Menschen sicherzustellen. Derweil die Leute aufgefordert waren, zuhause zu bleiben und wenn immer möglich die Arbeit und Schule im Home Office wahrzunehmen. Auf die Fahrradnutzung hat sich das nicht negativ ausgewirkt. Die Leute schwangen sich weiter auf den Sattel, um Besorgungen zu machen und um sich an der frischen Luft zu bewegen. Das hat auch die Mobilitätsstudie der ETH Zürich gezeigt, die einen grossen Zuwachs bei der Fahrradnutzung registrierte.
Link zur ETH-Studie: https://ivtmobis.ethz.ch/mobis/covid19/reports/latest_de
Die Fahrradmehrnutzung wirkte sich unterschiedlich auf die Velobranche aus: Reparaturen waren in der ohnehin schon stark belasteten Frühlingszeit noch mehr gefragt. Mehrere Importeure haben deutliche Zuwächse beim Abverkauf von Ersatzteilen und Verbrauchsmaterial wie Reifen, Schläuche, Bremsklötze, Ketten, Ritzel, Kabel und diverse Lager. Hier beträgt der durchschnittliche Umsatzzuwachs gegenüber dem Vergleichszeitraum 2019 +15 bis +25 Prozent. Auffällig ist, dass wieder vermehrt die Reifengrösse 26 Zoll nachgefragt war. Das deutet darauf hin, dass ältere Mountainbikes und Alltagsräder wieder fahrtüchtig gemacht wurden.
Da der Verkauf von Neufahrzeugen durch die offiziell verordnete Sperrung der Verkaufsflächen bis am 11. Mai in den Fahrradläden nur indirekt erlaubt war, was deutlich mehr administrativen Aufwand bedeutete, hinken die Verkaufszahlen derzeit noch etwa 20 Prozent hinter denen des Vorjahres her. Die Velosuisse-Mitglieder sind jedoch zuversichtlich, dass der Rückstand noch aufgeholt werden kann. Denn Velo- und E-Bikekäufe sind nicht aufgehoben, sondern in den meisten Fällen nur verschoben.
Die Branche ist optimistisch
Die Branche ist optimistisch, dass der Run auf Fahrräder und E-Bikes auch nach der Coronakrise weiter anhalten wird. Noch manch eine-r mehr hat die Effizienz und das befreiende Gefühl des Fahrradfahrens neu entdeckt. Der Platz in den Städten wird auch in Zukunft und mit Elektroautos nicht mehr. Da bleibt das Fahrrad als schnellstes Verkehrsmittel von Haustür zu Haustür erste Wahl. Wichtig wäre es nun, dass die Infrastruktur entsprechend angepasst wird. Studien haben nämlich gezeigt, dass eine gefährliche Verkehrsinfrastruktur vom Velofahren abhält. Velosuisse setzt deshalb grosse Hoffnungen in das neue Veloweggesetz, das derzeit in der Vernehmlassung ist.
Was eine klimafreundliche und nachhaltige Verkehrspolitik bewirken kann, zeigt derzeit die dynamische Veloverkehrs-Infrastrukturentwicklung im Ausland, wo vielerorts Pop-up-Fahrradspuren (Strassen, die provisorisch zu Fahrradwegen umgewandelt werden) entstehen. In zahlreichen Städten wie Mailand, Wien, Paris, New York, Brüssel, Mexiko-Stadt und Bogotá hat man bereits zahlreiche neue Fahrradwege auf Kosten von Autofahrspuren auf Hauptstrassen und Boulevards geschaffen. Berlin hat sogar ganze Parkplatzzonen für temporäre Velospuren aufgehoben.
Deutschland, das als Autoland gilt, zeigt sich gegenüber dem Veloverkehr besonders aufgeschlossen und hat am 28. April eine neue Strassenverkehrsordnung in Kraft gesetzt, die auch für die Schweiz Vorbildcharakter hat. Nicht mit einer abschreckenden Velohelmpflicht, sondern mit sinnvollem Schutz für die schwächsten Verkehrsteilnehmenden auf Gesetzesebene: Ein Mindestüberholabstand für Kraftfahrzeuge beim Überholen von Fussgängern und Velofahrern, ein generelles Halteverbot für mehrspurige Motorfahrzeuge auf Radstreifen, ein langsameres Rechtsabbiegetempo für Lastwagen innerorts, Radschnellwege, zusätzliche Fahrradzonen, eine Liberalisierung des Personentransports auf Fahrrädern, Vereinfachungen für Lastenvelos und mehr schaffen neue Anreize für die Fahrrad-Nutzung.
Link neue Strassenverkehrsordnung in Deutschland: https://www.bmvi.de/SharedDocs/DE/Artikel/K/stvo-novelle-sachinformationen.html